04.04.2024

BGH: Anwendung der GOÄ setzt nicht voraus, dass Vertragspartner des Patienten ein Arzt ist (Krankenhaus muss nach GOÄ abrechnen)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass der in § 1 Abs. 1 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) beschriebene Anwendungsbereich der GOÄ nicht voraussetzt, dass Vertragspartner des Patienten ein Arzt ist, sondern dass die Vergütung für die beruflichen Leistungen eines Arztes geltend gemacht wird. Die GOÄ findet deshalb auch dann Anwendung, wenn der Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person, zum Beispiel einem Krankenhausträger, abgeschlossen wird und ambulante Leistungen durch Ärzte erbracht werden, die lediglich im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in der Erfüllung ihrer eigenen Dienstaufgaben tätig werden und selbst mit dem Patienten keine Vertragsbeziehung eingehen.

Der Kläger nimmt das beklagte Universitätsklinikum auf Rückzahlung des Honorars für eine sog. Cyberknife-Behandlung in Anspruch. Der bei der T-Krankenkasse gesetzlich krankenversicherte Kläger befand sich bei der Beklagten wegen eines Prostatakarzinoms in ärztlicher Behandlung. Die Parteien vereinbarten, dass das innovative Cyberknife-Verfahren zur Anwendung kommen sollte. Das Verfahren ist in dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für gesetzlich krankenversicherte Patienten nicht enthalten und gehört daher grundsätzlich nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Die Beklagte verfügt auch nicht über eine Ermächtigung gemäß § 116b SGB V, das Verfahren im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung anzuwenden. Zwischen der Beklagten und dem Verband der Privaten Krankenversicherung bzw. einzelnen Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen zwar Vereinbarungen zur Vergütung des Cyberknife-Verfahrens, denen die T-Krankenkasse jedoch nicht beitrat, da sie das Verfahren als "unkonventionelle Methode" einstufte. Die T-Krankenkasse lehnte dem Kläger gegenüber eine Kostenbeteiligung ab. Die Beklagte informierte den Kläger über die Ablehnung der Kostenübernahme und teilte ihm mit, dass er für die Kosten selbst aufkommen müsse, wenn er die Cyberknife-Behandlung wünsche. Der Kläger unterzeichnete sodann eine Erklärung, mit der er bestätigte, die anfallenden Kosten in Höhe von 10.633 € nach erfolgter Behandlung zu begleichen. In der Folgezeit wurde die Cyberknife-Bestrahlung jeweils ambulant durchgeführt. Die Beklagte berechnete dem Kläger mit der Leistungsbezeichnung "Cyberknife Komplexleistung III" einen Pauschalbetrag von 10.633 €, den dieser vollständig bezahlte. Der Kläger reichte Klage auf Rückzahlung des bezahlten Honorars ein. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihn pflichtwidrig nicht darüber aufgeklärt, dass andere gesetzliche Krankenkassen die Kosten für eine Cyberknife-Behandlung übernähmen. Ihm wäre ein Wechsel zu einer dieser Krankenkassen vor dem Behandlungsbeginn ohne weiteres möglich gewesen. Als Pauschalpreisvereinbarung widerspreche die Kostenübernahmeerklärung den Bestimmungen der GOÄ.

Der BGH entschied, dass dem Kläger zwar kein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 630c Abs. 3 S. 1 BGB wegen Verletzung der Pflicht des Behandlers zur wirtschaftlichen Information des Patienten zustünde. Er könne jedoch das gezahlte Honorar für die Cyberknife-Behandlung gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückfordern, da die von den Parteien getroffene Vereinbarung über die Zahlung eines pauschalen Honorars von 10.633 € den Anforderungen des § 2 Abs. 1, 2 GOÄ nicht entspreche und deshalb gemäß § 125 S. 1 BGB bzw. § 134 BGB nichtig sei. Die Beklagte sei nicht gemäß § 630c Abs. 3 S. 1 BGB gehalten gewesen, vor Beginn der Behandlung darauf hinzuweisen, dass andere gesetzliche Krankenkassen auf Grund gesonderter Vereinbarungen die Kosten des Cyberknife-Verfahrens übernähmen und der Kläger ohne weiteres zu einer solchen Krankenkasse hätte wechseln können. Gemäß § 630c Abs. 3 S. 1 BGB muss der Behandelnde den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform (§ 126b BGB) informieren, wenn er weiß, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder sich hierfür nach den Umständen hinreichende Anhaltspunkte ergeben. Durch diese Pflicht zur wirtschaftlichen Information werde bezweckt, den Patienten vor finanziellen Überraschungen zu schützen und ihn in die Lage zur versetzen, die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung zu überschauen. Der Patient sei so rechtzeitig vor der Maßnahme zu informieren, dass er ausreichend Zeit hat, seinen Versicherer wegen der Kostenübernahme zu befragen bzw. seine Entscheidung, ob er die Maßnahme in Anspruch nimmt und die Kosten selbst trägt, zu treffen. Eine Informationspflicht des Behandelnden zur umfassenden wirtschaftlichen Beratung des Patienten bestehe allerdings nicht. Der Kläger habe gegen die Beklagte jedoch einen bereicherungsrechtlichen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der Behandlungskosten in Höhe von 10.633 €, weil die von den Parteien getroffene Pauschalpreisvereinbarung mit § 2 Abs. 1, 2 GOÄ unvereinbar und deshalb gemäß § 125 S.1 BGB bzw. § 134 BGB nichtig sei. Da die Beklagte ihre Vergütung ausschließlich pauschal und nicht - wenigstens hilfsweise - nach der GOÄ (zB im Wege der Analogie gemäß § 6 Abs. 2 i.V.m. § 12 Abs. 4 GOÄ) berechnet hat, sei sie zur Rückzahlung des gesamten Rechnungsbetrags verpflichtet. Die im vorliegenden Fall im Rahmen der Cyberknife-Behandlung erbrachten ambulanten ärztlichen Leistungen unterfielen den Vorschriften der GOÄ. Deren in § 1 Abs. 1 GOÄ beschriebener Anwendungsbereich setze nicht voraus, dass Anspruchsteller und Vertragspartner des Patienten ein Arzt sei, sondern dass die Vergütung für die beruflichen Leistungen eines Arztes geltend gemacht werde. Die GOÄ finde deshalb auch dann Anwendung, wenn der Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person, zum Beispiel einem Krankenhausträger, abgeschlossen wird und die (ambulanten) Leistungen durch Ärzte erbracht werden, die lediglich im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in der Erfüllung ihrer eigenen Dienstaufgaben tätig werden und selbst mit dem Patienten keine Vertragsbeziehung eingehen. Nach dem weit gefassten Wortlaut von § 1 Abs. 1 GOÄ sei die Verordnung auf alle "beruflichen Leistungen der Ärzte" anwendbar, ohne dass zwischen Leistungen differenziert werde, die auf Grund eines Behandlungsvertrags zwischen Arzt und Patient oder von Ärzten im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses ohne eine eigene vertragliche Beziehung zum Patienten erbracht werden. § 1 Abs.1 GOÄ und § 11 S.1 BÄO würden sich explizit auf "Vergütungen für die beruflichen Leistungen der Ärzte" bzw. - inhaltlich gleichbedeutend - auf "Entgelte für ärztliche Tätigkeit" beziehen und nicht auf die Regelung von Forderungen der Ärzte (für ihre ärztliche Tätigkeit). Dafür, dass von der Verordnungsermächtigung nur diejenigen Fälle erfasst werden sollten, in denen die tätig werdenden Ärzte die von ihnen erbrachten Leistungen auch selbst in Rechnung stellen, gebe der Wortlaut nichts her. Allein dieses weite Verständnis des Anwendungsbereichs der GOÄ werde deren Sinn und Zweck gerecht, der darin bestünde, einen angemessenen Interessenausgleich herbeizuführen zwischen denjenigen, die die Leistung erbringen, und denjenigen, die zu ihrer Vergütung verpflichtet sind. Dies sei unabhängig davon, ob der Arzt oder ein Dritter (juristische Person) Vertragspartner des Patienten geworden ist.

Quelle: BGH, Urt. v. 04.04.2024 - III ZR 38/23 Entgegen: OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.09.2023, 6 W 69/23