21.03.2024
BGH: Betrug und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen durch Zuführung von Patienten unter Verstoß gegen § 128 Abs. 2 SGB V
Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte, dass bei unzulässiger Zusammenarbeit zwischen Vertragsarzt und Leistungserbringer unter Verstoß gegen § 128 Abs. 2 SGB V keine Vergütungsansprüche des Leistungserbringers bestünden. Werden verordnete Heilmittel gleichwohl gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse der Patienten abgerechnet erfolge die Zahlung auf eine Nichtschuld und der Krankenkasse entsteht ein Schaden.
Die Angeklagte war zugelassene Vertragsärztin der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz. Sie betrieb eine chirurgisch-phlebologische Einzelpraxis. Die mitangeklagten Eheleute Q. waren die verantwortlichen Geschäftsführer der F. GmbH, eines Sanitätshauses, das Versicherte der A. und der Ersatzkassen mit Hilfsmitteln der Orthopädie- und Medizintechnik sowie mit Rehabilitationsmitteln versorgte. Vor dem Jahr 2015 vereinbarte der Mitangeklagte Q. mit der Angeklagten, ihr zukünftig für die Zuführung von Patienten zur Versorgung mit flach- gestrickten Kompressionsstrümpfen wirtschaftliche Vorteile in Höhe von zehn Prozent des jährlichen Umsatzes der F. GmbH mit solchen von der Angeklagten verordneten und von der GmbH gegenüber den Krankenkassen abgerechneten Hilfsmitteln zu gewähren. Der Mitangeklagte setzte davon seine Ehefrau und die Mitangeklagte D., eine Mitarbeiterin des Sanitätshauses, in Kenntnis. Die Vereinbarung wurde zunächst einvernehmlich wie folgt praktiziert: Die Angeklagte stellte ihren Patienten eine Vielzahl von Verordnungen über flachgestrickte Kompressionsstrümpfe aus. Die Mitangeklagte D. hielt eigene feste „Sprechstunden“ in den Praxisräumen der Angeklagten, im Rahmen derer sie eine hohe Anzahl der betroffenen Patienten beriet und vermaß. Zwei mitangeklagte Praxismitarbeiterinnen der Angeklagten koordinierten die Patiententermine bei der Mitangeklagten D. Zumindest in einigen Fällen empfahl die Angeklagte diese und das Sanitätshaus; zahlreiche Patienten wurden schon durch das Angebot der Vermessung in den Praxisräumen in Richtung dieses Sanitätshauses gelenkt. Im Zeitraum vom 1.1.2015 bis zum 2.6.2016 rechnete die F. GmbH in 43 Fällen die von der Angeklagten entsprechend der Vereinbarung verordnete Kompressionsware gegenüber der A. ab. Die Sachbearbeiter veranlassten in Unkenntnis der Abrede die Auszahlung der geltend gemachten Beträge in einer Gesamthöhe von 87.786,31 EUR an das Unternehmen. Als Gegenleistung für die Zuführung von Versicherten der A. sowie anderer Krankenkassen übernahm die GmbH - verdeckt durch Scheinanstellungen - Lohnkosten der Angeklagten für die mitangeklagten Praxismitarbeiterinnen im Umfang von 26.109,79 EUR und erbrachte Barzahlungen in unbekannter Höhe an sie (Tatkomplex I).
Anlässlich des Inkrafttretens des Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen am 04.06.2016 kam der Mitangeklagte Q. mit der Angeklagten überein, die Zusammenarbeit in modifizierter Form fortzuführen. Im Einvernehmen der Beteiligten wurde die Vereinbarung fortan insoweit abweichend praktiziert, als die Mitangeklagte D. die Patienten der Angeklagten in einer von der F. GmbH eigens zu diesem Zweck eröffneten Filiale beriet und vermaß, die nur wenige Meter von der Arztpraxis entfernt war, und die GmbH die wirtschaftlichen Vorteile in Höhe von zehn Prozent des jährlichen Umsatzes als sogenannte Boni bar an die Angeklagte auszahlte. Im Übrigen blieb das Vorgehen unverändert. Im Zeitraum vom 09.06.2016 bis zum 22.10.2018 rechnete die F. GmbH in weiteren 102 Fällen die von der Angeklagten vereinbarungsgemäß verordnete Kompressionsware gegenüber der A. ab. Die weiterhin uninformierten Sachbearbeiter veranlassten die Auszahlung der geltend gemachten Beträge in einer Gesamthöhe von 128.050,24 EUR an das Unternehmen. Als Gegenleistung für die Zuführung von Versicherten der A. sowie anderer Krankenkassen entrichtete die GmbH an die Angeklagte folgende Barbeträge: 5.200 EUR für das Restjahr 2016, 23.817 EUR für das Jahr 2017 und 21.743,55 EUR für das Jahr 2018, mithin insgesamt 50.760,55 EUR (Tatkomplex II).
Der BGH urteilte, dass kein Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten vorliege. Entgegen der Rechtsansicht der Verteidigung bestünde kein Anlass, von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abzurücken, wonach in Fällen des von Leistungserbringern oder Apothekern begangenen Abrechnungsbetruges der einer gesetzlichen Krankenkasse entstandene Vermögensschaden sozialrechtsakzessorisch zu bestimmen ist. Es sei ebenso wenig geboten, die Regelung des § 28 Abs.2 SGB V im Rahmen einer Strafbarkeit wegen Betruges restriktiver als nach sozialrechtlichem Verständnis auszulegen. Außerdem habe das LG auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zutreffend angenommen, dass die Angeklagte Zuwendungen in Form der Übernahme von Lohnkosten für die beiden mitangeklagten Praxismitarbeiterinnen erhielt. Als alleinige faktische Arbeitgeberin blieb sie, auch nachdem die zwei Frauen bei der F. GmbH scheinangestellt worden waren, im vollen Umfang zur Zahlung des jeweiligen Arbeitsentgelts verpflichtet. Von diesen Verbindlichkeiten wurde sie unabhängig davon befreit, ob und inwieweit Arbeitsleistungen der Mitarbeiterinnen dem Sanitätshaus zugutekamen.
Quelle: BGH, Urt. v. 21.03.2024, 3 StR 163/23