05.04.2024

AG Neuss: Wahlleistungen des Chefarztes nur bei persönlicher Leistungserbringung abrechenbar

Das Amtsgericht Neuss (AG) hat entschieden, dass allein der Abschluss einer wirksamen Wahlleistungsvereinbarung es noch nicht rechtfertige, sämtliche im Krankenhaus erbrachte Leistungen als Wahlleistung abzurechnen.

Im konkreten Rechtsstreit macht die Klägerin einen Anspruch auf Ersatz ärztlicher Behandlungskosten geltend. Die Beklagte wurde im Krankenhaus X privatärztlich behandelt. Hierüber wurde eine Rechnung erteilt. Trotz vorgerichtlicher Mahnung zahlte die Beklagte die Rechnung nicht. Zwischen den Parteien sind verschiedene Abrechnungspositionen streitig. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die entsprechenden Abrechnungspositionen zu Unrecht als wahlärztliche Leistungen abgerechnet wurden. Die Klägerin macht hingegen geltend, dass die ärztlichen Leistungen unter dem persönlichen Gepräge des Wahlarztes erbracht worden seien. Die Beklagte sei an mindestens 11 von 61 Behandlungstagen durch den Wahlarzt bzw. den ständigen Vertreter persönlich jeweils über mehrere Stunden behandelt worden. Überdies sei die psychiatrisch-psychotherapeutische Privatstation so organisiert, dass der Wahlarzt täglich die Station besuche und jeden einzelnen Patienten mit dem gesamten Ärzte- und Psychologenteam bespreche. Das therapeutische Konzept werde individuell auf den Patienten abgestimmt. Es werde von dem Wahlarzt persönlich entworfen und überwacht. Darüber hinaus führe dieser regelmäßig Therapien, Visiten, Behandlungen und Supervisionen des gesamten Teams durch. Des Weiteren gebe es regelmäßige Nachbesprechungen und Übergabegespräche durch den Wahlarzt. Auf der psychiatrisch-psychotherapeutischen Privatstation seien seit Jahren drei gut ausgebildete, hoch qualifizierte psychologische Psychotherapeuten mit anerkanntem Abschluss für den Wahlarzt tätig. Nicht qualifizierte Psychologen oder Ärzte würden auf der psychiatrischen Station nicht eingesetzt. Der Wahlarzt habe jeweils einen ständigen Vertreter für die Allgemeinpsychiatrie und für die Gerontopsychiatrie. Der jeweilige Vertreter sei in der Wahlleistungsvereinbarung aufgeführt. Der jeweilige Oberarzt und der persönliche Vertreter des Chefarztes, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, sei täglich mindestens 8 Stunden auf der Station anwesend. Er sei zuständig für die Patienten mit sämtlichen durchgeführten Gesprächen und Therapien, die auf der offenen psychiatrischen Privatstation stationär behandelt werden. Er führe täglich Vorbesprechungen mit den qualifizierten Psychologen und Ärzten der psychiat- risch-psychotherapeutischen Privatstation durch, in denen u.a. die Inhalte der durchzuführenden psychotherapeutischen Einzel- und Gruppengespräche festgelegt würden. Im Anschluss an das jeweilige Gespräch erfolge die Nachbesprechung des psychotherapeutischen Gesprächs durch den Oberarzt. In diesem Rahmen werde der qualifizierte Arzt oder Psychologe auch regelmäßig supervidiert. Darüber hinaus führe der jeweilige Oberarzt und der persönliche Vertreter des Wahlarztes, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, auch selbst in regelmäßigen Abständen Gespräche mit den Patienten durch. Schließlich sei er zusätzlich auch bei den täglichen Visiten der Patienten anwesend. Durch das psychiatrisch-psychotherapeutische Konzept der Station sei stets gewährleistet, dass sowohl der Wahlarzt als auch der Oberarzt als Vertreter, durch ihr persönliches Befassen mit dem Patienten zu Beginn, während und zum Abschluss der Behandlung dieser ihr persönliches Gepräge geben. Im zu entscheidenden Fall habe sich der Wahlarzt zu Beginn der stationären Behandlung eingehend über 140 Minuten in einer Einzelsitzung mit der Patientin auseinander gesetzt hat und das Behandlungskonzept entwickelt. Er habe dieses überwacht, selbst regelmäßig eingehende mehrstündige Gespräche und Therapiemaßnahmen durchgeführt und die Behandlung im Übrigen durch Supervision, Nachbesprechungen und Übergabegespräche koordiniert. Der Wahlarzt habe die Beklagte regelmäßig visitiert und mit ihr die aktuellen Belange unter Berücksichtigung des psychopathologischen Befundes besprochen.

Das AG urteilte, dass die Beklagte zwar mit dem Wahlarzt eine wirksame Wahlleistungsvereinbarung getroffen habe. Dies allein rechtfertige es jedoch nicht, sämtliche im Krankenhaus erbrachten Leistungen als Wahlleistung abzurechnen. Grundsätzlich könne ein Patient auch vom Krankenhaus selbst die Erbringung aller vorhandenen und angebotenen Leistungen erwarten. Durch den Abschluss eines Wahlleistungsvertrages wolle der Patient besondere ärztliche Leistungen "zukaufen", nicht jedoch den Krankenhausträger aus seiner Verpflichtung entlassen, ihm gleichfalls diese Leistungen zu erbringen. Der Patient, der wahlärztliche Leistungen vereinbart, wünsche eine über die allgemeine Krankenhausleistung hinausgehende persönliche Behandlung durch den aus seiner Sicht besten Arzt des Krankenhauses ohne Rücksicht darauf, ob er nach Art und Schwere der Erkrankung auf einen besonders qualifizierten Arzt angewiesen ist. Nach § 4 Abs. 2 S.1 GOÄ könne ein Arzt Gebühren nur für selbständige ärztliche Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht wurden. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfe der Wahlarzt seine Leistungen auch delegieren. Grundsätzlich reiche es aber nicht aus, dass der Chefarzt bei einer psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung lediglich im Sinne einer Oberaufsicht die grundlegenden Entscheidungen einer Behandlung von Wahlleistungspatienten selbst trifft, deren Vollzug überwacht und entsprechende Weisungen erteilen kann. Denn der Chefarzt sei als leitender und weisungsberechtigter Arzt der jeweiligen Abteilung ohnehin für Diagnostik und Therapie bei allen Patienten seiner Abteilung oder seines Funktionsbereichs verantwortlich. Es könne nicht angenommen werden, dass ein Patient eine Wahlleistungsvereinbarung schließe, um ärztliche Leistungen nochmals zu vereinbaren und zu bezahlen, die bereits im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistung geschuldet sind. Zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus dem Wahlarztvertrag sei es daher erforderlich, dass der Chefarzt durch sein eigenes Tätigwerden der wahlärztlichen Behandlung sein persönliches Gepräge gibt, d. h. er müsse sich zu Beginn, während und zum Abschluss der Behandlung mit dem Patienten befassen.

Quelle: AG Neuss, Urt. v. 05.04.2023, 85 C 368/22