01.10.2024

LG Flensburg: Stellvertretung bei vereinbarter Chefarztbehandlung

Das Landgericht Flensburg (LG) hat entschieden, dass ein Wahlarzt für den Fall seiner Verhinderung auch die Ausführung seiner Kernleistungen auf einen Stellvertreter übertragen darf, sofern er mit dem Patienten eine entsprechende Vereinbarung wirksam getroffen hat.

Der Kläger begehrt die Zahlung ärztlichen Honorars auf der Grundlage einer Wahlleistungsvereinbarung. Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie sowie Internistische Intensivmedizin und liquidationsberechtigter Chefarzt der Medizinischen Klinik der D... Krankenhaus gGmbH (im Folgenden: Klinikum). Die privat krankenversicherte Beklagte befand sich in stationärer Behandlung und schloss hierfür mit dem Klinikum eine schriftliche Wahlleistungsvereinbarung. In dieser heißt es u.a.: „Für den Fall der unvorhersehbaren Verhinderung (z.B.: bei Notfällen, plötzlicher Erkrankung) des Wahlarztes der jeweiligen Fachabteilung bin ich mit der Übernahme seiner Aufgaben durch seinen in der Tabelle auf Seite 4 beginnend nachfolgend benannten ständigen ärztlichen Vertreter einverstanden.“ Der Kläger war zum Zeitpunkt der Aufnahme der Beklagten zu einem Not- fall gerufen worden. Die Beklagte unterzeichnete deshalb ebenfalls ein als „Individualvereinbarung“ überschriebenes Formular. In dem Formular wählte die Patientin aus den Entscheidungsmöglichkeiten die Option aus, dass die Operation zu den Bedingungen der Wahlleistungsvereinbarung mit Abrechnung nach GOÄ durch den zuständigen Vertreter von Prof. G bei Beibehaltung des Liquidationsrechts von Prof. G durchgeführt werden soll. Als Vertreter der ständige ärztliche Vertreter des Klägers für den Bereich der Kardiologie ist Dr. R, eingetragen. Dieser behandelte die Beklagte in der Folge. Die vom Kläger für die im Wesentlichen durch den Oberarzt Dr. R durchgeführte Behandlung erstellte Rechnung beglich die Beklagte nicht. Die private Krankenversicherung der Beklagten erkannte die Rechnungslegung des Klägers nicht an und verweigerte eine Erstattung gestützt auf die Auffassung, die Wahlleistungsvereinbarung sei unwirksam, eine Liquidationsberechtigung des Klägers bestehe nicht. Der Kläger erhob daraufhin Klage gerichtet auf die Zahlung der Vergütung.

Das LG entschied, dass dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der Vergütung aufgrund der getroffenen Wahlleistungsvereinbarung gegen die Beklagte zustehe. Dieser Anspruch des Klägers bestehe auch trotz des Umstands, dass der Kläger die mit der streitgegenständlichen Rechnung abgerechneten wahlärztlichen Leistungen nicht selbst erbracht hat, sondern diese von seinem ständigen ärztlichen Vertreter für den Bereich der Kardiologie Dr. R erbracht wurden. Der Arzt, der gegenüber einem Patienten aus einer Wahlleistungsvereinbarung verpflichtet ist, müsse seine Leistungen gemäß § 630b iVm. § 613 S. 1 BGB grundsätzlich selbst erbringen. Nach dieser Bestimmung habe der zur Dienstleistung Verpflichtete die Dienste im Zweifel in Person zu erbringen. Dies sei auch und gerade bei der Vereinbarung einer sogenannten Chefarztbehandlung der Fall. Über die Delegation nachgeordneter Aufgaben hinaus dürfe der Wahlarzt im Fall seiner Verhinderung jedoch auch die Ausführung seiner Kernleistungen auf einen Stellvertreter übertragen, sofern er mit dem Patienten eine entsprechende Vereinbarung wirksam getroffen hat. Die Gebührenordnung für Ärzte schließe solche Vereinbarungen nicht aus. Vielmehr ergebe der Umkehrschluss aus § 2 Abs. 3S.2,§4Abs.2S.3und§5Abs.5 GOÄ, dass der Wahlarzt unter Berücksichtigung der darin bestimmten Beschränkungen des Gebührenanspruchs Honorar auch für Leistungen verlangen kann, deren Erbringung er nach Maßgabe des allgemeinen Vertragsrechts wirksam einem Vertreter übertragen hat. Hinsichtlich solcher Vertretungsvereinbarungen sei zu unterscheiden: Eine vorformulierte Vertragsbestimmung, die den Eintritt eines Vertreters auch für den Fall vorsieht, dass die Verhinderung des originären Wahlarztes im Zeitpunkt des Abschlusses der Wahlleistungsvereinbarung bereits feststeht (“vorhersehbare Verhinderung“), sei wegen Verstoßes gemäß § 308 Nr. 4 BGB unwirksam. Zulässig sei deshalb nur eine Klausel, in der der Eintritt eines Vertreters des Wahlarztes auf die Fälle beschränkt ist, in denen dessen Verhinderung im Zeitpunkt des Abschlusses der Wahlleistungsvereinbarung nicht bereits feststeht, etwa weil die Verhinderung (Krankheit, Urlaub etc.) selbst noch nicht absehbar oder weil noch nicht bekannt ist, dass ein bestimmter verhinderter Wahlarzt, auf den sich die Wahlleistungsvereinbarung gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 KHEntgG erstreckt, zur Behandlung hinzu gezogen werden muss (“unvorhersehbare Verhinderung“), so- fern darin als Vertreter der ständige ärztliche Vertreter im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 3 und 4, § 5 Abs. 5 GOÄ bestimmt ist und dieser auch namentlich benannt wird. Durch eine Individualvereinbarung mit dem Patienten könne sich der originäre Wahlarzt allerdings von seiner Pflicht zur persönlichen Leistung befreien und deren Ausführung einem Stellvertreter übertragen. Dies gelte auch für den Fall der vorhersehbaren Verhinderung. Da sich der Patient oftmals in der bedrängenden Situation einer schweren Sorge um seine Gesundheit oder gar sein Überleben befindet und er daher zu einer ruhigen und sorgfältigen Abwägung vielfach nicht in der Lage sein wird, bestünden ihm gegenüber nach Treu und Glauben vor Abschluss einer solchen Vereinbarung aber besondere Aufklärungspflichten. Danach sei der Patient so früh wie möglich über die Verhinderung des Wahlarztes zu unterrichten und ihm das Angebot zu unterbreiten, dass an dessen Stelle ein bestimmter Vertreter zu den vereinbarten Bedingungen die wahlärztlichen Leistungen erbringt. Soll die Vertretervereinbarung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Abschluss des Wahlleistungsvertrags getroffen werden, sei der Patient auf diese gesondert ausdrücklich hinzuweisen. Er sei in der ohnehin psychisch belastenden Situation der Aufnahme in das Krankenhaus bereits mit der umfangreichen Lektüre der schriftlichen Wahlleistungsvereinbarung und der in diesem Zusammenhang notwendigen Belehrungen befasst. Dies begründe die nicht unerhebliche Gefahr, dass er der Vertretervereinbarung, die der durch die Wahlleistungsvereinbarung erweckten Erwartung, durch den Wahlarzt behandelt zu werden, widerspricht, nicht die notwendige Aufmerksamkeit zukommen lässt. Weiter sei der Patient über die alternative Option zu unterrichten, auf die Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen zu verzichten und sich ohne Zuzahlung von dem jeweils diensthabenden Arzt behandeln zu lassen. Ein nochmaliger Hinweis, dass er auch in diesem Fall die medizinisch notwendige Versorgung durch hinreichend qualifizierte Ärzte erhält, sei nicht erforderlich, da eine solche Belehrung bereits vor Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung erteilt werden muss. Ist die jeweilige Maßnahme bis zum Ende der Verhinderung des Wahlarztes verschiebbar, so sei dem Patienten auch dies zur Wahl zu stellen. Schließlich müsse dieser Vertretervereinbarung schriftlich geschlossen werden, da sie einen Vertrag beinhaltet, durch den die Wahlleistungsvereinbarung geändert wird, für die gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 KHEntgG das Schriftformerfordernis gelte. Darüber hinausgehende Anforderungen seien an die Individualvereinbarung nicht zu stellen. Insbesondere bedürfe es zur Wirksamkeit einer solchen Individualvereinbarung nicht der Angabe von Grund oder Dauer der Verhinderung. Der Grund der Verhinderung sei für die Entscheidung des Patienten, die Ausführung der ärztlichen Kernleistungen dem ständigen ärztlichen Vertreter des Wahlarztes zu überlassen, nicht von Bedeutung. Demgegenüber könne die Dauer der Verhinderung für die Entscheidung des Patienten, ob dieser (sofern möglich) eine Verschiebung der Behandlung in Kauf nehmen will, bedeutsam sein - die Dauer der Verhinderung könne aber auch von einem Patienten in einer konkreten Behandlungssituation ohne Weiteres erfragt werden, ein Grund, eine solche Aufklärung zur notwendigen Voraussetzung der Wirksamkeit einer Vertretervereinbarung zu machen, sei nicht ersichtlich.

Quelle: LG Flensburg, Urt. v. 01.10.2024,  3 O 213/23