29.02.2024

EuGH: Erforderlichkeit der Apothekereigenschaft beim Vertrieb nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auf einer Online-Plattform

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens mit der Rechtmäßigkeit der Tätigkeit des Online-Verkaufs nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel über eine von Doctipharma entworfene und verwaltete Plattform zu beschäftigen.

Doctipharma entwarf und verwaltete die Website www.doctipharma.fr, auf der Internetnutzer über Websites von Apotheken nicht verschreibungspflichtige pharmazeutische Erzeugnisse und Arzneimittel kaufen konnten. Da die UDGPO (Union des Groupements de pharma- ciens d’officine), eine Dachvereinigung von Apothekenverbänden, der Ansicht war, dass Doctipharma durch den Dienst, den sie mittels ihrer Website erbringe, am elektronischen Arzneimittelhandel teilnehme, obwohl sie nicht die Eigenschaft eines Apothekers habe, erhob sie beim Tribunal de commerce de Nanterre (Handelsgericht Nanterre, Frankreich) u.a. Klage gegen Doctipharma, um die Rechtswidrigkeit dieser Website feststellen und, unter Androhung eines Zwangsgelds, die Einstellung der Aktivitäten dieser Website anordnen zu lassen. Doctipharma machte u.a. geltend, ihre Tätigkeit beschränke sich auf die technische Wartung einer gemeinsamen Lösung für Apotheker, um es diesen zu ermöglichen, ihre Website herauszugeben und zu betreiben. Nachdem die Rechtsstreitigkeit bereits durch verschiedene Instanzen gegangen war, legte schließlich die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) dem EuGH diesbezüglich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen verschiedene Rechtsfragen vor: Ist die Tätigkeit von Doctipharma, die auf und von ihrer Website www.doctipharma.fr aus ausgeübt wird, als „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der Richtlinie 98/34 einzustufen? Mit seinen Fragen 2 bis 6, die durch den EuGH zusammen geprüft wurden, wollte das Berufungsgericht Paris im Wesentlichen wissen, ob Art. 85c der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten auf der Grundlage dieser Bestimmung die Erbringung eines Dienstes verbieten können, der darin besteht, mittels einer Website Apotheker und Kunden für den Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel über Web- sites von Apotheken zusammenzuführen, die diesen Dienst abonniert haben.

Der EuGH entschied, dass ein Dienst, wie der von Doctipharma erbrachte, als „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2015/1535 einzustufen sei. Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2015/1535 definiere den Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft“ als „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“. Nach ständiger Rechtsprechung müsse insbesondere die Vergütung für einen Dienst, den ein Anbieter im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbringt, nicht notwendig von denjenigen bezahlt werden, denen der Dienst zugutekommt. Daher wäre es für die Einstufung eines Dienstes wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als unter den Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft“ fallend unerheblich, dass dieser Dienst gegenüber der Person, die das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel kauft, unentgeltlich erbracht wird, da der Dienst dazu führt, dass zwischen dessen Anbieter und jedem Apotheker, der ihn in Anspruch nimmt, ein mit einer Zahlung verbundener Dienstleistungsvertrag geschlossen wird. Ebenso wäre in diesem Zusammenhang unerheblich, dass Doctipharma von den Apothekern, die den Zugang zu ihrer Plattform abonnierten, nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der Grundlage einer Pauschale vergütet wurde oder dass, für den von Doctipharma erbrachten Dienst von den Apothekern als Kunden eine monatliche Abonnementgebühr an Doctipharma gezahlt und ein Prozentsatz des Verkaufsbetrags durch die Plattform einbehalten wurde. Weiterhin könne der von Doctipharma erbrachte Dienst als im Fernabsatz und elektronisch im Sinne dieser Bestimmungen erbracht angesehen werden, da die Zusammenführung von Kunde und Apotheker über eine Website ohne gleichzeitige Anwesenheit des Diensteanbieters einerseits und des Kunden oder Apothekers andererseits erfolgt. Zudem werde dieser Dienst zum einen auf individuellen Abruf der Apotheker erbracht, da diese den Zugang zur Website von Doctipharma abonnieren müssen, um den Dienst in Anspruch nehmen zu können, und zum anderen auf individuellen Abruf der Kunden, die ein Kundenkonto einrichten müssen, um Zugang zu den Websites der Apotheker ihrer Wahl zu erhalten, um auf Bestellung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu kaufen.

Hinsichtlich der Möglichkeit auf der Grundlage des Art. 85c der Richtlinie 2001/83 die Erbringung eines Dienstes verbieten zu können, der darin besteht, mittels einer Website Apotheker und Kunden für den Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel über Websites von Apotheken zusammenzuführen, die diesen Dienst abonniert haben, führte der EuGH folgendes aus: Es sei insoweit darauf hinzuweisen, dass durch Art. 1 Nr. 20 der Richtlinie 2011/62 ein Ti- tel VIIa („Verkauf an die Öffentlichkeit im Fernabsatz“) in die Richtlinie 2001/83 eingefügt wurde. Dieser Titel enthalte u. a. deren Art. 85c über den Verkauf von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit im Fernabsatz. Aus dieser Bestimmung ergebe sich erstens, dass die Mitgliedstaaten den Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an die Öffentlichkeit im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft, wie in der Richtlinie 98/34 festgelegt, gestatten müssen. Ein in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenes Verbot eines Angebots an die Öffentlichkeit zum Verkauf im Fernabsatz sei nämlich nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu- lässig. Zweitens lege Art. 85c Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 die für Personen, Arzneimittel und Websites geltenden Bedingungen fest, an die der Verkauf von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft geknüpft ist und deren Einhaltung die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen. Was insbesondere die Personen betreffe, die zu einem solchen Verkauf ermächtigt oder befugt sind, stelle Art. 85c Abs. 1a) klar, dass die natürliche oder juristische Person, die ein solches Arzneimittel anbietet, zur Abgabe dieser Arzneimittel im Fernabsatz, „entsprechend den ... Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem diese Person niedergelassen ist“, ermächtigt oder befugt sein müsse. Daher seien allein die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die natürlichen oder juristischen Personen zu bestimmen, die zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit im Fernabsatz ermächtigt oder befugt sind. Um festzustellen, ob ein Dienst wie der von Doctipharma erbrachte auf der Grundlage von gemäß Art. 85c Abs. 1 a) der Richtlinie 2001/83 erlassenen nationalen Rechtsvorschriften verboten werden kann, müsse das Berufungsgericht Paris beurteilen, ob unter Berücksichtigung der Merkmale dieses Dienstes, davon auszugehen ist, dass sich der Anbieter dieses Dienstes durch eine eigene und vom Verkauf unabhängige Leistung darauf beschränkt, Verkäufer mit Kunden zusammenzuführen, oder ob dieser Anbieter selbst als Verkäufer anzusehen ist. Sollte diese Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass Doctipharma selbst als Verkäuferin anzusehen ist, stünde Art. 85c Abs. 1 a) der Richtlinie 2001/83 dem Verbot dieses Dienstes durch den Mitgliedstaat, in dem Doctipharma ihren Sitz hat, nicht entgegen. Sollte hingegen feststellt werden, dass dieser Dienst ausschließlich darin besteht, Verkäufer mit Kunden zusammenzuführen, so dass Doctipharma eine eigene und vom Verkauf unabhängige Dienstleistung erbringt, könnte dieser Dienst nicht auf der Grundlage von Art. 85c Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/83 mit der Begründung verboten werden, dass Doctipharma am elektronischen Handel mit Arzneimitteln beteiligt sei, ohne die Eigenschaft eines Apothekers zu haben.

Quelle: EuGH Urt. v. 29.02.2024, C-606/21