05.12.2023
BGH: Beweiswert der Dokumentation
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich im Rahmen einer Entscheidung mit dem Beweiswert einer Dokumentation auseinanderzusetzen.
Im konkreten Fall begehren die Klägerin- nen als Träger der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung Schadensersatz aus übergegangenem Recht des bei ihnen versicherten Kindes J. wegen behaupteter Behandlungsfehler bei dessen Geburt. Im Rahmen dieses Haftungsprozesses war hierbei von besonderer Bedeutung inwieweit der medizinischen Dokumentation Beweiskraft zukommt.
Der BGH führt in seinem Urteil folgendes zu dem Beweiswert der Dokumentation aus: Grundsätzlich ist es Sache des Anspruchstellers, einen behaupteten Behandlungsfehler des Arztes nachzuweisen. Der Inhalt der Dokumentation sei hierbei nicht zugunsten des Beweisführers als richtig zu unterstellen, soweit nicht der Beweisgegner das Gegenteil beweist. Eine derart weitgehende Wirkung komme der Dokumentation des Behandlungsgeschehens nicht zu. Die Dokumentation des Behandlungsgeschehens in Papierform sei eine Urkunde im Sinne der §§ 415 ff. ZPO. Bei dem im Streitfall erstellten Geburtsprotokoll der Beleghebamme handele es sich konkret um eine Privaturkunde i.S.d. § 416 ZPO. Eine von ihrem Aussteller unterschriebene Privaturkunde begründet nach § 416 ZPO vollen Beweis allein dafür, dass die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben worden sind. Die Beweisregel erstrecke sich dagegen nicht auf die inhaltliche Richtigkeit des Erklärten. Ob die in der Privaturkunde enthaltenen Angaben zutreffen, insbesondere ob die darin bezeugten tatsächlichen Vorgänge wirklich so geschehen sind oder nicht, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab und unterliege der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung. In diese Würdigung seien jedenfalls bei einer Privaturkunde, die tatsächliche Vorgänge bezeugt, auch alle vom Beweisgegner im Wege des Gegenbeweises vorgebrachten Gesichtspunkte einzubeziehen; der Beweisgegner müsse nicht die inhaltliche Richtigkeit des in der Urkunde Erklärten widerlegen. Vielmehr genüge es, wenn er dartut, dass die inhaltliche Richtigkeit zweifelhaft bleibt. Einer ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation in Papierform, die keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, komme zugunsten der Behandlungsseite Indizwirkung zu, die im Rahmen der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist. Eine in diesem Sinne vertrauenswürdige Dokumentation könne dem Tatrichter die Überzeugung davon vermitteln, dass die dokumentierten Maßnahmen tatsächlich getroffen worden sind. Aber auch hier gelte, dass in die Beweiswürdigung alle vom Beweisgegner vorgebrachten Gesichtspunkte einzubeziehen sind. Der Beweisgegner müsse nicht die inhaltliche Richtigkeit der Dokumentation widerlegen. Ihm obliege nicht der Beweis des Gegenteils. Vielmehr genüge es, wenn er Umstände dartut, die bleibende Zweifel daran begründen, dass das Dokumentierte der Wahrheit entspricht. An dem erforderlichen Indizwert der Dokumentation fehle es dann, wenn der Dokumentierende Umstände in der Patientenakte festgehalten hat, die sich zu Lasten des im konkreten Fall in Anspruch genommenen Mitbehandlers (Beweisgegners) auswirken, und nicht ausgeschlossen wer- den kann, dass dies aus eigenem Interesse an einer Vermeidung oder Verringerung der eigenen Haftung erfolgt ist. In diesem Fall sei die Indiztatsache - die Dokumentation der jeweiligen Maßnahme - ambivalent. Sie lasse sich zwanglos sowohl mit dem vom Patienten zu haltenden Vortrag, der Dokumentierende habe die von ihm festgehaltene Maßnahme tatsächlich ergriffen, als auch mit dem von dem in Anspruch genommenen Mitbehandler zu erwartenden Vortrag vereinbaren, der Dokumentierende habe in Wirklichkeit nicht gegebene Umstände dokumentiert, um seine eigene Verantwortung für das Geschehen in Abrede zu stellen.
Quelle: BGH, Urt. v. 05.12.2023, VI ZR 108/21