22.11.2024
LG Stuttgart: Sittenwidrigkeit von Patientenvermittlungsverträgen an Krankenhäuser
Das Landgericht Stuttgart (LG) hat entschieden, dass eine Vermittlung von Patienten an Krankenhäuser sittenwidrig ist, wenn die Vermittlung gegen eine vom Krankenhaus zu zahlende Provision erfolgt. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn kein ausdrückliches Verbot der Patientenvermittlung in dem betroffenen Landeskrankenhausgesetz enthalten ist.
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche aus mehreren Kooperationsverträgen im Zusammenhang mit sog. Medizintourismus. Sie arbeiteten mehrere Jahre bei der Betreuung von internationalen Patienten zusammen. Die Beklagte betreibt ein Klinikum und zeitweise eine sog. „International Unit“ („IU“) zur internen Abwicklung von Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit ausländischen Patienten. Die Klägerin ist Dienstleisterin im Bereich des Gesundheitswesens für die Betreuung ausländischer Patienten in Deutschland. Im Rahmen der Zusammenarbeit der Parteien wurde der „Kooperationsvertrag 2011“ sowie der „Kooperationsvertrag 2015“ geschlossen. Gegenstand dieser Kooperationsverträge war die Behandlung von internationalen Patienten durch die Beklagte, die die Klägerin vor und während ihrer Behandlung betreuen sollte. Die Klägerin sollte u.a. die Vermittlung ausländischer Patienten in leistungsfähige Gesundheitseinrichtungen sowie die professionelle Organisation des Aufenthalts leisten. Die Patienten sollten im Klinikum der Beklagten behandelt werden. Die Vermittlungsleistung der Klägerin sollte durch die Beklagte vergütet werden. Im Jahr 2017 beendete die Beklagte die Zusammenarbeit durch Kündigung. Es wurde ein Anteil der in Rechnung gestellten Vergütung bezahlt. Die Klägerin beantragte, die Beklagte zur Zahlung einer weiteren Vergütung auf Grundlage der Kooperationsverträge zu verurteilen. Ohne die Betreuungsleistungen wäre eine Behandlung der Patienten nicht möglich gewesen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie keine weitere Vergütung schulden würde, da beide Kooperationsverträge nichtig seien. Die vorgesehene Patientenvermittlung sei sittenwidrig und führe zur Nichtigkeit der Verträge.
Das LG Stuttgart vertrat dieselbe Auffassung und wies die Klage ab. Der Klägerin stünden keine weiteren Vergütungsansprüche aus den Kooperationsverträgen zu. Diese Verträge seien zwar nicht aufgrund des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB nichtig, wohl aber aufgrund der anzunehmenden Sittenwidrigkeit i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB.
Das LG führte aus, dass die Verträge nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen würden. Dies sei selbst dann anzunehmen, wenn eine Patientenvermittlung auf Provisionsbasis umgesetzt worden sei. Zwar bestünde nach § 31 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg i.V.m. § 3a UWG eine gesetzliche Regelung i.S.d. § 134 BGB. Demnach ist das Verbot einer unerlaubten Zuweisung von Patienten gegen ein Entgelt oder andere Vorteile für Ärzte normiert. Dieses Verbot gelte jedoch nur für niedergelassene Ärzte. Die Beklagte als Krankenhaus sei hiervon nicht erfasst. Auch strafrechtlich erkennt das LG kein regelwidriges Verhalten. Die Voraussetzungen der Strafvorschriften aus §§ 299a f. StGB und der ähnlich ausgestalteten Vorschrift für Kassenärzte in § 73 Abs. 7 SGB V seien nicht erfüllt. Eine Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 StGB würde nicht vorliegen, da es an einer hinreichend qualifizierten Unrechtsvereinbarung fehle. Die vereinbarte Patientenvermittlung gegen Entgelt der beanstandeten Kooperationsverträge stelle jedoch einen Verstoß gegen die guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 BGB dar. Sittenwidrig ist danach ein Vertrag immer dann, wenn er nach seinem Gesamtcharakter, der durch eine umfassende Würdigung von Inhalt sowie Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, „dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ zuwiderläuft. Hierbei kommt es auf den Zweck des Vertrages an. Die Kooperationsverträge seien demnach sittenwidrig, weil sie die Vermittlung von Patienten zur Behandlung an Krankenhäuser gegen Entgelt zum Gegenstand haben und dies den Werteentscheidungen der Rechtsordnung widersprechen würde. Die Vermittlung von Patienten durch Ärzte gegen Entgelt sei sittenwidrig, was sich durch die besondere Vertraulichkeit des Arzt-Patienten-Verhältnisses begründen lässt. Diese sei besonders zu schützen. Ein fachlicher Laie sei auf eine zutreffende und sachliche Information und Entscheidungsfindung durch den behandelnden Arzt angewiesen. Der Patient müsse sich darauf verlassen können, dass der behandelnde Arzt eine Zuweisungsentscheidung ausschließlich nach Abwägung der medizinischen Belange zum Wohle des Patienten trifft und nicht primär zur Erzielung eigener wirtschaftlicher Vorteile durch in Aussicht gestellte Vermittlungsprovisionen. Dahingegend sei es zulässig, Patienten einen Marktplatz für ärztliche Leistungen gegen Provision zur Verfügung zu stellen. Die medizinische Entscheidungsfindung des Patienten werde hierdurch nicht eingeschränkt. Die Wertungen der ausdrücklich normierten Vermittlungsverbote sind zwar unmittelbar nur auf niedergelassene Ärzte anwendbar. Dies würde jedoch nicht gegen eine Übertragung dieser Wertungen auf Krankenhäuser sprechen. Im Rahmen der Gesetzesnovelle zu §§ 299a ff. StGB wurde zwar keine explizite Regelung zur Patientenvermittlung durch Krankenhäuser aufgenommen. Mit Blick auf das System des deutschen Unternehmensstrafrechts, welches eine Strafbarkeit von juristischen Personen oder Einrichtungen nicht kennt, sei dies jedoch nur konsequent. In dem Zusammenhang traf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Einschränkung, dass der Umstand allein, dass in einem Krankenhaus Ärzte arbeiten, nicht ausreicht, um das ärztliche Berufsrecht unmittelbar auf Krankenhäuser anzuwenden. Die Verpflichtung des Krankenhaus, das „Klinikprivileg“, wirtschaftlich und wettbewerbsfähig zu arbeiten, habe einen Wertungsunterschied zu Folge. Das Klinikprivileg sei auf Werbemaßnahmen des Leistungsangebots eines Krankenhauses beschränkt. Werbemaßnahmen müssen sich im betriebswirtschaftlich erforderlichen Rahmen bewegen. Eine Patientenvermittlung sei vom „Klinikprivileg“ hingegen nicht erfasst. Die vergleichbare Interessenlage des Patienten bestehe umso mehr bei der vergüteten Vermittlung an ein Krankenhaus. Das Interesse des Patienten an einer medizinisch bestmöglichen Behandlung ändere sich nicht, wenn er eine Leistung des Krankenhauses anstatt die eines niedergelassenen Arztes in Anspruch nimmt. Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der Maximalversorgung für den Großraum. Die größere Anzahl der behandelten Patienten im Vergleich zu einem niedergelassen Arzt führe vielmehr zu einem größeren Gefährdungspotential von Provisionszahlungen zulasten der Gewährleistung der medizinisch bestmöglichen Versorgung. Für eine Übertragung der Wertung würde weiterhin sprechen, dass in diversen Krankenhausgesetzen ein Verbot der Patientenvermittlung analog zu den für niedergelassene Ärzte geltende Berufsregel aufgenommen wurde. Demnach sind Patientenvermittlungsverträge dort gem. § 134 BGB nichtig. Die uneinheitliche Regelung von ausdrücklichen Verbotsnormen der Patientenvermittlung in den einzelnen Bundesländern lässt nach den Ausführungen des LG nicht den Umkehrschluss zu, dass in den Ländern, die wie Baden-Württemberg kein ausdrückliches Verbot kennen, die Patientenvermittlung erlaubt sein soll. Bereits 2012 wurde sich vielmehr gegen das Bedürfnis eines bundesgesetzlichen Verbots von Patientenvermittlung durch Krankenhäuser ausgesprochen, da dieses Verhalten bereits nach geltendem Recht (bundesweit) nichtig sei. Bei einer uneingeschränkt gestatteten Patientenvermittlung bestünde zudem das Risiko einer Verschlechterung der medizinischen inländischen Versorgung. Die knappen Ressourcen des deutschen Gesundheitssystems könnten dann nicht zur Behandlung von Versicherten verwendet werden, sondern vielmehr dafür, sich einen profitgesteuerten Bieterwettbewerb um gewerbliche Patientenvermittler mit anderen Krankenhäusern zu liefern.
Folge des Verstoßes gegen die guten Sitten sei, dass nach § 139 BGB die Kooperationsverträge insgesamt nichtig sind und nicht nur der die Patientenvermittlung betreffende Teil. Weiteren Vergütungsansprüche könnten nicht geltend gemacht werden. Bei einer Teilnichtigkeit des Vertrages ist im Zweifel von einer Gesamtnichtigkeit auszugehen.
Quelle: LG Stuttgart, Urt. v. 22.11.2024, 14 O 67/20