01.06.2022

BSG: Unzulässigkeit der Werbung für Versandapotheke in Mitgliederzeitschrift einer Krankenkasse

Das Bundessozialgericht (BSG) befasste sich im Rahmen eines Rechtsstreits mit der Frage der Zulässigkeit einer Werbung für eine Versandapotheke in einer Mitgliederzeitschrift einer Krankenkasse.

Die beklagte Krankenkasse fügte im Jahr 2017 in einer Ausgabe ihrer kostenlosen Mitgliederzeitschrift für die Versicherten eine Werbebeilage der Versandapotheke DocMorris bei, mit der diese u.a. auf ihren Rezeptbonus von garantiert 2 € bis zu 12 € pro Rezept und einen Kennenlern-Vorteil von 5 € bei Rezepteinsendung durch Neukunden hinwies; Bestandteil der Werbebeilage war ein an die Versandapotheke adressierter Freiumschlag für die Rezepteinsendung. Im Impressum der Zeitschrift war die Beklagte als Herausgeberin angegeben und der Hinweis enthalten, dass zur Refinanzierung in der Ausgabe gewerbliche Anzeigen sowie Beilagen zu finden seien; alle Anzeigen seien als solche gekennzeichnet und stellten keine Empfehlung der Beklagten dar. Der Apothekerverein und der dem Verein vorsitzende Apotheker verlangten nach erfolgloser vorgerichtlicher Abmahnung der Beklagten sowie nach einem vor SG und LSG erfolglosen einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit ihren Klagen von der Beklagten die Unterlassung einer Beeinflussung ihrer Versicherten zum Bezug von Arzneimitteln durch die Versandapotheke. Die Beifügung von deren Werbebeilage durch die Beklagte in der Mitgliederzeitschrift verstoße gegen die wettbewerbliche Neutralitätspflicht, die in § 7 Abs 1 des u.a. zwischen den Beteiligten geschlossenen Arzneiversorgungsvertrags (AVV) und seit 2020 auch in § 31 Abs 1 Satz 6 SGB V geregelt sei. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.

Die hiergegen gerichtete Revision der Kläger hatte Erfolg. Das BSG entschied zugunsten der Kläger und hob die vorinstanzlichen Entscheidungen auf. Es verurteilte zudem die beklagte Krankenkasse zur beantragten Unterlassung einer Beeinflussung von Versicherten durch Werbung in der Mitgliederzeitschrift sowie zur Zahlung der vorgerichtlichen Abmahnkosten. Die Kläger könnten sich für ihr Unterlassungsbegehren von Beginn an auf das vertragliche Beeinflussungsverbot und nunmehr auf die 2020 eingefügte entsprechende gesetzliche Regelung stützen. Die Regelung im zwischen den Beteiligten geltenden Arzneiversorgungsvertrag, einem leistungserbringungsrechtlichen Normenvertrag auf der Grundlage von § 129 Abs 5 SGB V, bestimmte in seiner 2017 geltenden Fassung und bestimmt in seiner aktuellen Fassung, dass die Versicherten von den Ersatzkassen nicht zugunsten bestimmter Apotheken oder Lieferanten beeinflusst werden dürfen. Mit Wirkung vom 20.10.2020 regelt § 31 Abs 1 Satz 6 SGB V u.a., dass Krankenkassen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt oder aus medizinischen Gründen im Einzelfall eine Empfehlung geboten ist, die Versicherten nicht dahingehend beeinflussen dürfen, Verordnungen bei einer bestimmten Apotheke oder einem sonstigen Leistungserbringer einzulösen. Sinn und Zweck dieser Regelungen sind die Sicherung des Rechts der Versicherten auf freie Apothekenwahl (§ 31 Abs 1 Satz 5 SGB V) und der Neutralitätspflicht der Krankenkassen im Apothekenwettbewerb, die dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung seit jeher immanent ist. Ausgehend vom Sinn und Zweck dieser vertraglichen und gesetzlichen Regelungen liege eine rechtswidrige Beeinflussung von Versicherten nicht erst vor, wenn Krankenkassen selbst und gezielt ihre Versicherten auf eine bestimmte Apotheke hinweisen, um die Einlösung von Verordnungen dort zu bewirken. Vielmehr genüge es, wenn sie es den Versicherten durch die Beifügung einer wie hier gestalteten, unmittelbar auf eine Beeinflussung zur Einlösung von Rezepten bei ihr zielenden Werbebeilage einer Versandapotheke in der von der Krankenkasse herausgegebenen Mitgliederzeitschrift ermöglichen und vereinfachen, Verordnungen bei der werbenden Versandapotheke einzulösen, was unter Verstoß gegen die von den Krankenkassen einzuhaltende Neutralitätspflicht wirtschaftlich zulasten aller weiteren Apotheken gehe. Dass auch alle diese Apotheken in dieser Weise in der Mitgliederzeitschrift werben könnten, ist ausgeschlossen; das mache deutlich, dass von der Krankenkasse mit der Beifügung der Werbebeilage eine Auswahlentscheidung getroffen worden ist, die zudem in ihrem wirtschaftlichen Eigeninteresse liegt. Dies rechtfertige es, der Krankenkasse die Werbebotschaft der Versandapotheke zuzurechnen. Von dieser Zurechnung der Werbebotschaft könnten sich diese auch nicht dadurch freizeichnen, dass sie im Impressum der Zeitschrift darauf hinweisen, in ihr enthaltene Werbung diene zur Refinanzierung der Zeitschrift und stelle keine Empfehlung der Krankenkasse dar. Das nehme der Beifügung der Werbebeilage nichts von ihrer rechtswidrigen beeinflussenden Wirkung auf die Versicherten zugunsten einer bestimmten Apotheke. Entgegen dem Revisionsvorbringen der Beklagten sei maßgeblich für die Bewertung einer solchen Werbebeilage als Beeinflussung von Versicherten nicht, wie diese als Verbraucher und mündige Leser die Werbung verstehen, sondern wozu die Beklagte rechtlich gegenüber den Klägern verpflichtet ist; die Bewertungsmaßstäbe folgten nicht aus dem zivilrechtlichen Lauterkeitsrecht, sondern aus dem öffentlichrechtlich geordneten Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung.

Quelle: Terminbericht des BSG zu Urt. v. 01.06.2022, B 3 KR 5/21 R